Brotherhood in Bihać
Episode 102: An der Grenze
Schön, dass ihr wieder mit eingeschaltet habt. Diesmal bin ich direkt am Start mit dabei. Grund dafür ist, dass Johann nicht hier zu Lande ist. Wir hatten bisher ja immer über Homeoffice und Discord, also Telefonat-Situationen immer miteinander hier aus unseren beiden Wohnungen in Leipzig uns zusammengeschaltet, um den Podcast aufzunehmen. Jetzt ist er allerdings ein paar Kilometer weiter weg, denn er befindet sich nämlich in Bosniens Grenzstadt Bihac an der EU-Außengrenze.
Johann war ja schon mal weit außerhalb unterwegs. Damals auf dem Seenotrettungsschiff „Eleonore“ in Malta. Da hatten wir schon mal so eine Situation. Jetzt ist quasi wieder so eine Situation, dass wir uns hier versuchen, aus der Ferne zusammen zu schalten.
Vielleicht zu Beginn erstmal so eine kleine Aufklärung, was da eigentlich so gerade abgeht in Bosnien bzw. in Bihac an der direkten EU-Außengrenze. Dort sind viele Geflüchtete gestrandet, könnte man sagen. Es gibt dort viele geflüchtete Leute, die gerne nach Deutschland, Italien oder Frankreich einreisen möchten, allerdings von der kroatischen Polizei aufgehalten werden. Flüchtlingsunterkünfte, die dort stationiert sind, sind auch schon überfüllt. Bedeutet, dort können keine neuen Leute aufgenommen werden. Deswegen schlafen bzw. leben die Menschen dort in wilden Camps und in selbstgebauten Notunterkünften in den Wäldern. Aktuell ist dort Winter, also nachts schneit es teilweise und durchschnittliche Temperturen um die – 8°C. Ungefähr um die 2000 Flüchtlinge haben dort nicht wirklich ein Dach über dem Kopf oder fließend Wasser.
Diese Route, die quasi zur kroatischen Grenze führt, nennen die Geflüchteten auch „The Game“, also „das Spiel“, weil sie jedes Mal, wenn sie versuchen, über die Grenze zu kommen, ihr Leben auch aufs Spiel setzen.
Die Polizei lässt nämlich keine Flüchtlinge mehr durch, weswegen es viele illegal versuchen. Die meisten schaffen das allerdings nicht und werden von der kroatischen Grenzpolizei aufgegriffen und wieder nach Bosnien abgeschoben. Und die Polizei geht auch sehr gewaltvoll gegen die Geflüchteten vor.
Also die Menschen werden meist massiv misshandelt, geschlagen, getreten, verprügelt – also alles was gegen jegliche Rechte verstößt. Auch wird deren Hab und Gut komplett abgenommen: also Handys, Kleidung und andere wertvolle Dinge und dann werden sie wieder ausgesetzt. Die kroatischen Behörden weisen das natürlich zurück. Es gibt aber genug belastende Video-Materialien und Fotos, wo es auch immer wieder neue gibt. Es hat also bisher dort bei der kroatischen Polizei kein großartiger Wandel stattgefunden. Es gibt Bilder und Videos von verwundeten jungen Männern – meistens sind es eben die jungen Männer. Und trotz all diesen sehr sehr schlimmen Umständen, nehmen diese Menschen diese Gefahr gefasst, erneut misshandelt, gefoltert zu werden oder sogar mit ihrem Leben zu bezahlen, jedes Mal wieder aufs Neue in Kauf, um z.B. nach Deutschland zu kommen. Ein weiteres Problem z.B. sind auch die Wälder. Dort liegen nämlich noch Minen aus dem Jugoslawienkrieg in den 90er Jahren. Also auch eine weitere Gefahr, die diesen Menschen ausgesetzt sind. Gerade die, die eben in diesen Wild Camps leben.
Ein ganz großes Ereignis fand noch kurz vor Weihnachten statt, denn dort wurde am 23. Dezember das Camp angezündet. Dieses ist auch komplett abgebrannt. Demnach gibt es nun noch mehr Leute, die kein Dach über dem Kopf haben. Außerdem wird vermutet, darüber werden wir bestimmt jetzt auch gleich noch sprechen, dass die Geflüchteten aus Gründen der Unzufriedenheit, aus Gründen dieser massiven Menschenrechtsverletzungen teilweise das Camp mit angezündet haben sollen.
Bis hierhin erst einmal ein bisschen was zum Hintergrund. Johann ist mir jetzt quasi per Telefon zugeschaltet. Wir werden einfach mal ein bisschen von ihm erfahren, was er dort so erlebt hat, was für Eindrücke er uns hier schildern kann.
Also Johann, ich grüße dich.
Ja, hallo Friedrich, ich grüße dich auch und ich begrüße natürlich auch unsere Zuhörerinnen und Zuhörer weltweit an den Empfangsgeräten.
Es ist jetzt so, dass wir hier gerade aktuell schauen, wieso die Lage vor Ort ist. Die Kollegen von mir waren in den letzten anderthalb Jahren schon dreimal hier unten und haben sich hier die Situation angeschaut. Das Problem der, die du gerade beschrieben hast, dieser sogenannten Push-backs, also dass die kroatische Polizei die Flüchtlinge wieder zurückschickt und das Ganze auch relativ gewaltsam wollten sie dokumentieren und jetzt ist es halt so, dass dieses Camp abgebrannt ist und dementsprechend die Not der Leute nochmal ein Stück weit größer ist, weil es ja jetzt Winter ist.
Es regnet gerade aktuell und vorgestern hat es auch teilweise zwischendurch immer mal geschneit und es wird vermutlich jetzt auch in den nächsten Tagen kälter. Und die Leute haben aktuell kein Dach über dem Kopf.
Also es gibt nicht nur dieses eine Camp, es gibt mehrere Camps in Bosnien muss man dazu sagen. Und es gab hier auch schon ein Camp direkt in Bihać. Das wurde aber geschlossen und die bosnische Bevölkerung sträubt sich auch dagegen, dass die Flüchtlinge da wieder reinkommen.
Es wäre quasi relativ simpel, sage ich jetzt mal, ein Großteil der Flüchtlinge dort unterzubringen. Das ist aber von den Behörden nicht vorgesehen und die Bevölkerung Streb sträubt sich halt auch dagegen und protestiert davor.
Also es gibt so eine kleine Mahnwache, mit denen haben wir gestern Abend auch gedreht. Das sind so ein paar ältere Herren. Ich glaub es waren 3, 4 Leute da, die davor standen und uns erzählt haben, sie wollen auf jeden Fall verhindern, dass die Flüchtlinge hereinkommen. Und deswegen stehen sie Tag und Nacht, laut ihren Angaben, dort und passen halt auf, wer reinkommt und wer rausgeht. Aktuell wird das genutzt als Lager für Container, die bereitstehen würden, um auch die Geflüchteten unterzubringen. Und ja, sie passen halt darauf auf, wollen das auf jeden Fall verhindern und könnten innerhalb kürzester Zeit, wenn sie irgendwie feststellen, dass da Bewegung stattfindet und Flüchtlinge gebracht werden, mehrere hundert bis tausend Leute mobilisieren, um dagegen zu protestieren. Auch würden sie, auf die Nachfrage meines Kollegen, mit Gewalt quasi das verhindern, dass die Leute da reinkommen.
Der Interview-Partner, der uns das erzählt hat, hat uns am Vorabend, wo wir schon mal zum Vorgespräch da waren, dann auch noch aus seinem Brustbeutel seine Waffe gezeigt. Die Frage, die wir uns natürlich kurz gestellt haben, war ist die jetzt echt oder nicht? Du kennst doch solche Feuerzeug Pistolen, vielleicht schon mal gesehen. Und so von der Größe her war das. Aber es gibt ja auch so kleine Waffen und in Bosnien ist das jetzt nicht ungewöhnlich. Hier hat auch eigentlich jeder eine Waffe irgendwo. Deswegen glaube ich schon, dass es eine echte war.
Es gibt laut seiner Aussage einen großen Unmut in der Bevölkerung. Es gibt aber auch andere, die genau das Gegenteil behaupten. Die sagen das, was er da erzählt, mit 2000 Leute, die dagegen sind und protestieren würden; das würde er niemals auf die Beine kriegen. Es ist eher eine Handvoll Leute, die halt ein bisschen, also sehr großen Lärm erzeugt.
Aber unabhängig davon, dass Camp was abgebrannt ist das Camp Libra. Das ist etwa 25 Kilometer von Bihać entfernt, ein bisschen abgelegen und relativ bergig. Es gibt da so eine Straße, die da hinführt, wo du auch immer mal gucken musst, wo du da überhaupt lang fährst mit dem Auto, dass du nicht irgendwie stecken bleibst. Es ist alles sehr schlammig. Wir laufen da auch durch den Matsch. Und ich meine, wir haben festes Schuhwerk und du siehst halt viele einfach teilweise mit Sandalen rumlaufen, weil das auch ein Thema ist bei den Pushbacks.
Die kroatische Polizei verhindert ja quasi, dass die Leute in die EU kommen und möchte das halt auch weiterhin verhindern, indem sie den Flüchtlingen, auch wie du schon sagtest, teilweise ihre Sachen wegnehmen. Teilweise auch Schuhe oder auch die Handys zerstören und verbrennen.
Dieses „Game“, wovon du sprachst, das bezeichnen die tatsächlich so, ist aber auch ja nicht ganz ohne. Es gibt Leute, die haben das schon sehr, sehr oft versucht. Wir hatten gestern glaube ich ein Afghanen, der hat das jetzt schon 15 mal versucht. Interessanterweise will er halt unbedingt nach Deutschland. Der hat uns das Interview im Übrigen auch auf Deutsch gegeben, weil der irgendwie in Afghanistan acht Monate lang Deutsch gelernt hat und das auch relativ gut dafür, dass der nur acht Monate Deutsch gelernt hat.
Und er hat gesagt, dass er große Probleme hat. Er hat keine Möglichkeit, hier an Medikamente zu kommen. Es gibt keine medizinische Versorgung. Er hat Herzprobleme und dann die üblichen Probleme, die viele auch im Lager haben. Weil es keine wirkliche Schlaf Möglichkeit gibt und auf dem Boden geschlafen wird.
Also man muss sich das so vorstellen: es ist ein Teil des Lagers abgebrannt. Es waren Zelte und diese Zelte sind irgendwie in irgendeiner Form in Brand gekommen. Und da gibt’s jetzt die unterschiedlichsten Ansichten: die offiziellen Seiten sagen, die Flüchtlinge hätten es angezündet und auch ein Großteil der Medien sagt das so. Die Flüchtlinge von sich aus haben uns mehrfach gesagt, dass sie das nicht angezündet haben. Und sie vermuten eher die IOM dahinter. Also das ist die er Flüchtlings Rettungsorganisationen der UNO, die das Camp betrieben hat und kurz vor Weihnachten das Ultimatum dann auslaufen hat, dass sie jetzt das Camp nicht mehr weiter betreiben und aufgeben. Das haben sie auch nicht leichtfertig gemacht, sondern was sie aus dem Grund gemacht haben, da sie immer versucht haben, eine Wasser- und Stromversorgung zu dem Camp zu bekommen. Die haben über mehrere Monate versucht, bei der Kommune die Möglichkeit zu haben, da lebenswürdigere Bedingungen zu schaffen. Und das war nicht möglich.
Und deswegen haben sie dann gesagt: Okay, wir können das Camp so nicht weiter betreiben, das geht einfach nicht. Es ist nicht menschenwürdig und deswegen müssen wir es aufgeben.
Und an dem Tag, als die Leute quasi aus dem Camp geholt wurden, kam es zu diesem Feuer. Man kann jetzt auch schwer rekonstruieren, wer es war. Ich glaube ehrlich gesagt auch nicht, dass die IOM das Camp selber angezündet hat. Aber es ist am Ende auch egal. Es ist passiert und das, was übrig geblieben ist, sind halt Gerüste und verbrannte Planen und teilweise noch einige halbfertige Zelte, die dann aber auch wieder vom Zelt Betreiber teilweise auch abgebaut wurden. Auch die Planen oder die Materialen wurden weggenommen.
Die Flüchtlinge haben dann so viele Sachen selbst gebastelt. Also man kann sich das so vorstellen, dass von dem ganz großen Zelt nur noch die Gitterstäbe und ein paar Seitenplanen da sind.
Das Dach fehlt und dann haben sie sich da drunter eingerichtet, mit eigenen kleinen Unterständen aus z.B. verbrannten Gestellen, von den Hochbetten und dann einen Plane drüber gespannt. Unten z.B. dann noch eine Art Feuerstelle eingerichtet.
Und dann haben einige etwa die Hälfte der Flüchtlinge Schlafsäcke bekommen. Aber es hat jetzt keiner irgendwie eine neue Matratze oder vielleicht gibt’s noch ein paar Matratzen, aber es hat jetzt keiner irgendwie so ne große Matratze und irgendwie drei Decken und so, sondern es ist relativ schwierig und alle versuchen sich mit Feuern, mit kleinen Feuern auch immer aufzuwärmen.
Und ein Großteil der Leute, die quasi nicht in diesem Gewerbe sind, lebt halt jetzt in den rhemaligen Klo- und Wasch-Containern. Sie haben sich dort eingerichtet und machen da teilweise Feuer drin.
Vorletzte Nacht sind wir quasi auch reingegangen in das Camp und haben dort ein paar Aufnahmen gemacht mit unserer Nachtsicht-Kamera. Die Zustände sind wirklich schwierig, sag ich jetzt mal so. Also es ist echt jetzt nicht gerade sauber, die Leute frieren auch dann am Tag und es gibt auch nicht wirklich eine große Essens-Versorgung, sie kriegen einmal eine Mahlzeit am Tag. Aber es gab halt auch Zeiten, wo sie nicht wirklich etwas zu essen bekommen haben. Teilweise backen sie sich selber Sachen über dem Feuer. Sie sind auch sehr erfinderisch, muss man dazu sagen.
Was aber tatsächlich bewundernswert ist das. Klar sind alle niedergeschlagen, verzweifelt und durchgefroren. Aber es ist jetzt nicht so, dass dir die Geflüchteten heulend entgegenkommen oder so. Sondern es gibt immer mal viele Leute, die dich freundlich begrüßen und sagen „Hello!“ Und auch ein Lächeln auf dem Gesicht haben. Teilweise auch manchmal singen. Also die viele Leute gehen wirklich damit um, wie es vielleicht auch nur möglich ist, mit der Situation umzugehen, nämlich einfach trotzdem nicht die Freude am Leben zu verlieren.
Also es ist tatsächlich bewunderswert und es hilft auch nicht nur den Leuten vor Ort, die in dem Camp wohnen oder in dem übrig gebliebenen Camp, sondern auch den Beteiligten, die versuchen den Leuten zu helfen. Und ja, jetzt wird parallel von der Armee ein „Not-Camp“ aufgebaut. Auf einen Acker neben dem Camp werden aktuell irgendwie 20 Zelte aufgebaut, 12 davon sind angeblich winterfest. Die anderen werden noch winterfest gemacht. Wir haben uns Auf dem Acker bewegt und von dort aus das eigentlich abgewandte Flüchtlingscamp gedreht. Und wir sind die ganze Zeit nur gerutscht. Das ist voller Schlamm. Die verlegen da in irgendeiner Form Böden. Gestern haben sie ganz viel Schutter hingetragen und das Ganze da versucht zu befestigen. Den Boden mit einer mit Walzen und Baggern bearbeitet, in die Zelte Bretter gelegt und wollen die dann irgendwie beheizen. Die sind aber längst nicht so groß vom JAV, also von der Größe der einzelnen Zelte, sodass ich mir vorstellen kann, dass da wirklich alle drin unterkommen.
Ich nehme mal an, dass auch einige versuchen, in dem Camp zu bleiben, so wie sie sich jetzt eingerichtet haben oder was du auch am Anfang schon mal an gesprochen hast: Es gibt natürlich auch viele wilde Camps hier, es gibt wilde Camps in irgendwelchen Ruinen. Es gibt hier in der Innenstadt noch eine große Fabrik, wo früher auch sehr viele Leute drin waren, die aber anscheinend immer mal da vertrieben werden und die aber immer mal wieder zurückkommen. Es gibt so versprengte Unterkünfte hier, überall, wo sich Leute eingerichtet haben.
Und es ist wirklich bewundernswert, mit welchem Erfindungsreichtum die Leute rangehen und es schaffen, irgendwie Probleme zu lösen und trotzdem nicht den Mut zu verlieren.
Jetzt ist übrigens der Regen gerade in Schnee übergegangen, während wir sprechen. Und es wird für alle nicht einfacher.
Und das Bizarre an der Situation ist eigentlich, dass den Leuten relativ einfach geholfen werden könnte. Also es wäre einfach gewesen, der IOM die Genehmigung von behördlicher Seite zu geben, dass sie Strom und Wasser dauerhaft haben. Und diese Genehmigung ist dann irgendwann auch eingetroffen. Aber einen Tag, nachdem das Camp angezündet wurde und das ist natürlich ein bisschen zu spät gewesen.
Es gibt auch eine andere Hilfsorganisation SOS Bihać heißen die, die sind quasi für den für den Notfall da und kümmern sich jetzt aktuell auch viel um die Flüchtlinge. Also die haben einiges an Containern vorrätig, die sie einfach aufstellen und die Leute drin unterbringen könnten. Aber sie haben keine Fläche zugewiesen bekommen, wo sie das machen können und sie haben halt auch nicht wirklich eine behördliche Genehmigung. Und deswegen ja verzögert sich das alles.
Es ist auch ein bisschen problematisch, wie die Politik hier vor Ort mit der ganzen Situation umgeht. Die wollen, hier nicht, dass große Aufnahmelager an der Außengrenze von Europa sein. Und gleichzeitig ist es ihnen aber eigentlich auch ganz recht, wenn die Leute es versuchen, es richtung Kroatien über die Grenze zu schaffen. Also es gibt keinen bosnischen Polizisten, der hier großartig die Leute aufhält über die Grenze zu gehen, weil das Problem für die dann aus dem Land wäre, wenn sie es tatsächlich schaffen würden.
Es gibt auch Leute, die es schaffen, aber die kroatische Polizei ist da echt sehr gut ausgestattet, auch von unseren Geldern, also von EU-Geldern, um diese Grenze zu schützen. Also die haben Wärmebildkameras, die haben Drohnen, die haben viel Ausrüstung und teilweise auch beleuchtete Grenzstreifen. Und das Kuriose ist: einerseits gibt die EU den kroatischen Behörden Geld um die Grenze zu schützen, andererseits gibt die EU den Bosniern Geld, um die Flüchtlinge hier aufzunehmen. Aber von dem Geld kommt bei den Flüchtlingen nicht viel an. Das ist schon ein wenig kurios.
Wir müssen noch über eine weitere Situation reden, die letztes Jahr dazugekommen ist: Corona.
Wie ist da so die Lage vor Ort? Gibt’s da Bedenken. Wie spiegelt sich das bei den Geflüchteten wider?
Also Corona, wenn man hier durch die Stadt geht, gibt’s hier überhaupt nicht. Wir werden immer wie Außerirdische angeguckt, wenn wir irgendwo lang gehen mit unseren FFP 2 Masken. Manche von der Bevölkerung haben hier Masken auf, aber eigentlich hauptsächlich, um sie als Schmuck unterm Kinn zu tragen. Es gibt hier manchmal auch Masken Pflicht, aber die Cafés haben ganz normal offen. Die Restaurants haben ganz normal offen, sind voll, die Leute rauchen in Restaurants und Cafés. Also die Bevölkerung hat jetzt kein wirkliches Bewusstsein für Corona hier vor Ort. Auch die Geflüchteten kaum. Also es gibt ein paar, die Maske tragen, aber das sind tatsächlich Einzelfälle und ich glaube, sie haben auch tatsächlich gerade andere Probleme.
Es gab eine bei dem Camp gab es anscheinend so eine Desinfektion Schleuse. Da ist auch ein Logo von der EU drauf. Die wird aber nicht benutzt. Da steht einfach nur gerade ein Generator drinne und wird da betrieben. Also es ist jetzt nicht so, dass hier irgendwelche Hygienevorschriften eingehalten werden. Und deswegen ist es schon jetzt nicht gerade schön, sich hier zu bewegen. Und nicht so viele Leute nehmen das halt ernst hier.
Also du hast schon von der Stimmung der geflüchteten Leute so berichtet, dass die trotz allem positiv an alles rangehen. Habt ihr irgendwelche Informationen darüber, ob es irgendwie Probleme untereinander gibt? Da treffen ja auch verschiedene Länder, Kulturen und Religionen aufeinander.
Also wir haben jetzt keine großen Probleme, Schlägereien oder sowas gesehen. Ich glaube, die Leute, die halt in ihrem Kulturkreis oder religiösen Kreis unterwegs sein wollen, separieren sich dann auch eher von der Gruppe und gehen halt in eine dieser wilden Camps z.B. Sie sind dann halt mit ihren Gruppierungen unterwegs, bei denen sie vielleicht auch schon seit längerem zusammen auf der Flucht sind oder mit denen sie zusammen dann den Versuch wagen, über die Grenze zu gehen. Ich hab jetzt hier keine großen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Landsleuten gesehen oder so. Aber natürlich würde es die auch in irgendeiner Form geben.
Am ersten Tag, als wir kamen, haben irgendwann auf einmal alle angefangen zu jubeln und sind losgerannt. Und dann haben wir gesehen, dass die Bergstraße entlang sich langsam ein Zug von mehreren Fahrzeugen bewegte, die Essen brachten. Und das war ein sehr großes Happening, was auch den ganzen Tag gedauert hat. Es war halt sehr, sehr aufregend, weil halt alle gleichzeitig Essen haben wollten und deswegen gab’s großes Gedränge, Geschubse. Und die Polizei, die natürlich auch vor Ort ist und das Camp so ein bisschen bewacht, aber jetzt nicht die Flüchtlinge in dem Sinne bewacht, sondern glaub ich eher ein Auge drauf hat, was da so ein bisschen passiert, die hat dann auch versucht, mit Schlagstöcken so ein bisschen das in eine Ordnung zu bringen, wie sie dachten. Das war ein bisschen schwierig für uns. Wir wurden immer weggeschickt, wenn wir das filmen wollten. Aber es gab auch Situationen, wo sie geschubst und versucht haben, irgendwie eine Ordnung reinzubringen. Ob das jetzt wirklich sinnvoll war, weiß ich nicht. Und die Geflüchteten haben uns auch mehrfach erzählt, dass sie immer mal wieder von der Polizei einfach grundlos geschlagen werden. Das haben wir jetzt tatsächlich nicht wirklich gesehen, also wir haben so ein paar Aufnahmen gemacht, aber wir haben jetzt nicht wirklich einen Schlag gesehen in dem Sinne, dass da jemand wirklich schwer verletzt wurde. Da passen die tatsächlich schon auf, wenn Fernsehteams da sind.
Es ist wie gesagt auch verboten in das Camp reinzugehen. Wir haben dann die Situation der Essensausgabe so ein bisschen genutzt, weil da die Polizeikräfte zusammengezogen wurden, um die Meute in Schach zu halten. Wir haben uns dann währenddessen so ein bisschen in das Camp geschlichen. Und dann haben uns auch die Leute im Camp erzählt, dass andere Fernsehteams, die drinne waren, dann von der Polizei aufgegriffen wurden und angeblich, aber wir wissen nicht genau, ob das stimmt, wurden ihnen dann die Pässe weggenommen, des Landes verwiesen und die gemachten Aufnahmen löschen. Weiß ich nicht, ob das stimmt, aber es hat schon seinen Grund, warum die nicht unbedingt wollen, dass man sich das ganze anguckt, weil es ist schon sehr menschenunwürdig, was da passiert.
Aber wie ist dann so die allgemeine Stimmung jetzt zu euch, zur Presse, jetzt auch von den geflüchteten Menschen? Also gibt es auch Abneigung gegen euch.
Nein, also hab ich jetzt tatsächlich noch nicht erlebt. Die zeigen dir ganz offen, was sie da gerade machen, was ja wieder so ein bisschen bizarr ist. Wir sind ja nicht die einzigen Medienvertreter hier. Und du hast immer so Situationen, wo du das Gefühl hast, die Leute sind halt im Camp, machen z.B. irgendwie Feuerholz oder versuchen sich irgendwie zu waschen mit kaltem Wasser oder was sie halt über dem Feuer gerade warm gemacht haben, und es stehen irgendwie 2, 3 Kameras am anderen Seite des Zauns und versuchen durch den Zaun oder über den Zaun die Situation zu filmen. Und das hat manchmal so ein bisschen den Charakter, als würde man von außen so in ein Gehege oder in den Zoo reingucken, was schon wieder so ein bisschen menschenunwürdig ist.
Andererseits ist es halt die einzige Möglichkeit, um das Leid der Leute halt auch abzubilden. Aber die Leute sind jetzt nicht uns gegenüber abgeneigt und versuchen uns dann am Film zu hindern, sondern winken dann freundlich oder freuen sich und fragen, wie es einem geht oder woher man kommt und haben da eigentlich nichts dagegen.
Und trotzdem ist es aber so, dass manchmal auch sehr viel Privates gefilmt wird. Ich meine, wer würde sich von uns beim Waschen filmen lassen oder beim Rasieren oder jetzt vielleicht auch nicht unbedingt beim Essen. Also sobald da die Essensausgabe ist. Und so ist es natürlich auch wieder eine Situation, die du natürlich auch filmst und die nicht nur wir filmen, sondern die halt auch noch andere Teams, sowohl bosnische Teams, die hier vor Ort sind, als auch internationale Presse. Ich finde, man muss da nochmal aufpassen, dass man ja da nicht diesen Charakter hat: wir filmen von draußen auf euch, sondern eigentlich muss man mit den Leuten so ein bisschen auch agieren.
Wie ist das? Also habt ihr vor oder wart ihr schon im direkten Grenzgebiet? Oder ist das für euch auch als Presse zu gefährlich, da zu versuchen eine Route mitzugehen und zu begleiten oder dergleichen?
Nicht wirklich. Wir hatten, als wir hierher gefahren sind und noch auf kroatischer Seite waren, sind wir relativ lang entlang der Grenze gefahren, weil wir ein paar Probleme hatten, bei dem ersten Grenzübergang über die Grenze zu kommen. Und deswegen haben wir einfach versucht, über einen anderen Grenzübergang zu kommen. Wir wurden dann mehrfach von kroatischer Polizei dann auch angehalten. Es lag vielleicht auch daran, dass wir nachts unterwegs waren. Aber das waren sowohl zivile Kräfte als auch normal Polizeiautos und die waren schon auf jeden Fall auf kroatischer Seite gut unterwegs und haben da viel kontrolliert.
Wir sind jetzt noch nicht auf bosnischer Seite im Grenzgebiet direkt unterwegs gewesen. Wir haben noch vor eine Hilfsorganisation hier vor Ort zu begleiten. Die fahren immer mal einige Routen ab und finden dann tatsächlich auch Leute, die irgendwie im Wald sind und teilweise schon fast ohnmächtig und apathisch sind und haben dann halt die Möglichkeit, den Leuten zu helfen. Sie haben auch die Genehmigung tatsächlich von den Behörden. Das ist glaube ich auch ein großes Thema: es gibt auch einige Hilfsorganisationen, die hier gerne helfen würden, aber nicht dürfen. Es ist tatsächlich so, dass die Bosnier nicht wirklich Lust haben, hier alle möglichen Hilfsorganisationen der Welt zu begrüßen, sondern es gibt nur ausgewählte Leute oder ausgewählte Organisationen, mit denen die schon länger zusammenarbeiten, die hier auch autorisiert sind zu helfen.
Aber es wird vermutlich so sein, dass wir direkt dieses Grenzgebiet nicht betreten dürfen. Zumindest meinte der Ansprechpartner von der Organisation das zu uns, weil die Polizei das nicht erlauben wird. Aber wir werden trotzdem so eine Patrouille im weiteren Sinne mal mitmachen.
Die Kollegen, die hier mit mir unterwegs sind und schon drei mal hier waren, haben dann tatsächlich auch einen illegalen Grenzübertritt gemacht. Sie wurden dann auch kurzzeititg festgenommen. Da ist dann aber nicht viel passiert. Ich glaube die mussten 250 Euro Strafe zahlen oder so und wurden dann wieder freigelassen.
Die hatten aber einen Fahrer dabei und dieser hat dann ein Einreiseverbot in die EU für ein Jahr bekommen als Strafe.
Aber es ist jetzt nicht unbedingt die Zeit, dass viele das „Game“, wie es heißt, unter den Geflüchteten versuchen. Denn die Leute, die es schon mehrfach versucht haben, wissen, dass es gerade sehr gefährlich ist, weil es gerade einfach verdammt kalt ist.
Die Berge sind auch schneebedeckt und du bist auch besser im Schnee zu sehen. Deswegen versuchen das viele nicht. Aber die Leute, die halt relativ neu im Camp sind und das vielleicht noch nicht so oft versucht haben, die sind dann diejenigen, die meinen, sie könnten das jetzt schaffen und die sich dann vielleicht auch überschätzen und das nicht schaffen.
Es ist aber jetzt nicht so, wie es halt in den Sommermonaten ist, dass hier große Züge von Flüchtlingen jeden Abend das versuchen und loslaufen, um über die Grenze zu kommen. Das ist jetzt aktuell nicht der Fall. Deswegen weiß ich nicht genau, ob wir jetzt uns eine Gruppe großartig anschließen. Wir fahren da bestimmt mal ein bisschen rum und gucken, wen wir da treffen. Aber es ist tatsächlich interessant: man fährt nachts mit einem Auto rum und entweder man muss aufpassen, dass man nicht irgendwelche Leute, die am Straßenrand gerade stehen oder auf der Straße laufen, nicht überfährt.
Was ist da jetzt so angekündigt, was da passieren soll? Also an Hilfe oder dergleichen?
Also ein Großteil hat natürlich wie gesagt ein großes Interesse, dass die Geflüchteten irgendwie in einen Art Winter Camp kommen können. Das ist das, was gerade wie gesagt aufgebaut wird mit den Zelten. Das sollte auch in den nächsten, ja vielleicht ein, zwei Tagen auch fertig sein. Dann kommen jetzt tatsächlich auch die richtigen Minusgrade, so wie es bisher aussieht. Und dann wird sich halt zeigen, ob das wirklich Winter tauglich ist oder nicht. Vielleicht ist es eine Lösung für diesen Winter. Die Frage ist halt, geht es in den nächsten Monaten oder Jahren hier weiter an der Grenze? Also das ist jetzt nicht unbedingt die Lösung, die man sich halt irgendwie für die nächsten Jahre noch weiter vorstellen kann. Aber keine Ahnung, wie es weitergeht, weiß ich nicht.
Okay, also keiner weiß so richtig, wie es weitergeht…
Wir werden euch da mit Sicherheit auch auf dem Laufenden halten. Johann wird auch noch bis mindestens Sonntag dort sein, wenn nicht sogar noch länger. Also wir werden bestimmt auch noch in der nächsten Folge darüber mit euch sprechen.
Wenn ihr mit uns in den Austausch treten wollt, mit uns schreiben wollt, über jegliche Social Media Plattformen sind wir erreichbar. Darüber könnt ihr auch direkt mit Johann schreiben, also über Instagram, Twitter und auch per Mail an mail@brotherhood-podcast.de. Und da könnt ihr z.B. auch Johann direkte Fragen stellen zu irgendwelchen Sachen, die euch zu dem Thema interessieren.